"Junge Menschen in Europa haben eine klare Meinung zur EU: Sie beschäftigt sich zu sehr mit Kleinigkeiten statt mit wirklich wichtigen Herausforderungen. Es fehlen die großen Linien, zu oft geht es um das kleine Karo. Wirtschaft, Verteidigung und Klima sind die Themen, um die sich die EU vorrangig kümmern soll, so die 16- bis 26-Jährigen in Europa. Die ‚Zeitenwende‘ scheint auch bei ihnen angekommen. In Deutschland sagen 30% der jungen Menschen, es sei wichtig, Europa und die EU besser gegen Bedrohungen von außen zu verteidigen“, sagt Thomas Ellerbeck, Vorsitzender der TUI Stiftung.
Die Ergebnisse der neunten repräsentativen Jugendstudie „Junges Europa“ der TUI Stiftung wurden heute in Berlin vorgestellt. Das Meinungsforschungs-Institut YouGov befragte dazu im April und Mai 2025 6.703 Menschen zwischen 16 und 26 Jahren in Deutschland, Frankreich, Spanien, Italien, Griechenland, Polen und Großbritannien.
Eine knappe Mehrheit (57 Prozent) der jungen Menschen in Europa zieht die Demokratie uneingeschränkt anderen Staatsformen vor. In Deutschland ist die Zustimmung am höchsten (71 Prozent), Schlusslicht ist Polen mit 48 Prozent. Laut Studie favorisiert rund ein Fünftel (21 Prozent) aller Befragten unter gewissen Umständen eine autoritäre Regierungsform gegenüber einer demokratischen. In Deutschland sind die wenigsten jungen Menschen für eine autoritäre Regierung (15 Prozent) offen. Knapp einem Zehntel (in Deutschland fünf Prozent) ist es egal, ob die Regierungsform demokratisch ist oder nicht.
Reformbedarf für das politische System ihres eigenen Landes sieht die große Mehrheit der jungen Europäer. 39 Prozent finden, dass das System gut funktioniert, aber in „einigen Punkten“ geändert werden muss (in Deutschland sind 55 Prozent dieser Meinung). Ein Drittel der Befragten sagt, dass „in vielen Punkten“ Veränderungen notwendig sind, weil das politische System nicht gut funktioniert (in Deutschland sind 24 Prozent, in Polen 41 Prozent dieser Meinung). Den dringendsten Reformbedarf sehen junge Menschen in Griechenland: 34 Prozent von ihnen stimmen der Aussage zu, dass das politische System ihres Landes „überhaupt nicht“ gut funktioniert und deshalb völlig verändert werden muss (europaweit liegt die Zustimmung bei 14 Prozent, in Deutschland bei 8 Prozent).
„Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit – sie braucht Demokratinnen und Demokraten. Wenn 57 Prozent der jungen Europäerinnen und Europäer angeben, dass sie die Demokratie jeder anderen Regierungsform vorziehen – dann bedeutet das eben auch, dass viele von ihnen nicht 100 Prozent hinter der Demokratie stehen. In Ländern wie Polen, Spanien oder Frankreich liegt dieser Wert sogar nur bei etwa 50 Prozent. Und bei jungen Menschen, die sich politisch rechts der Mitte verorten und ökonomisch benachteiligt fühlen, sinkt die Zustimmung zur Demokratie auf nur ein Drittel. Diese Zahlen zeigen: Die Demokratie steht unter Druck – von außen wie von innen“, sagt Prof. Dr. Thorsten Faas von der Freien Universität Berlin, der die Studie wissenschaftlich begleitet hat.
Wie ticken junge Europäer und Europäerinnen 2025, wo verorten sie sich politisch und gesellschaftlich? Mehr junge Leute als vor vier Jahren ordnen sich selbst als rechts der Mitte ein. Waren es 2021 noch 14 Prozent, sind es inzwischen 19 Prozent. 33 Prozent sehen sich 2025 in der politischen Mitte, 32 Prozent bezeichnen sich als links und 16 Prozent wissen es nicht oder machen keine Angabe. In Deutschland, wie auch in Frankreich und Italien, nimmt vor allem der Anteil derer zu, die sich links der Mitte einordnen (Deutschland 2021: 32 Prozent, 2025: 43 Prozent). Mit Blick auf das Geschlechterverhältnis zeigt die Studie: Junge Frauen in Deutschland, Frankreich und Italien sind heute progressiver, junge Männer in Polen und Griechenland konservativer als vor vier Jahren.
Beim Thema Migration sind junge Europäer und Europäerinnen kritischer geworden: 2021 waren es 26 Prozent, heute sind es 38 Prozent, die der Meinung sind, dass Zuwanderung stärker beschränkt werden sollte, 33 Prozent sind unentschieden. Klimaschutz hat weiter Priorität vor Wirtschaftswachstum: 32 Prozent (2021 44 Prozent) sagen, die Bekämpfung des Klimawandels sollte auf jeden Fall Vorrang haben, auch wenn es dem Wirtschaftswachstum schade, 23 Prozent sehen das umgekehrt und 37 Prozent sind unentschieden. Zudem wollen junge Menschen, dass der Staat mehr für die Gleichstellung von Frauen in der Gesellschaft tut. 38 Prozent aller Befragten (in Deutschland 44 Prozent) sagen, die Gleichstellung gehe nicht weit genug, 20 Prozent (in Deutschland 17 Prozent) finden, dass Gleichstellungsmaßnahmen „schon zu weit gehen” und 34 Prozent (in Deutschland 33 Prozent) sind unentschieden.
Im Gegensatz zur Zustimmung zur Demokratie als Staatsform sehen die jungen Menschen das politische System des eigenen Landes kritischer: Nur eine Minderheit der Befragten (sechs Prozent) sagt, das politische System ihres eigenen Landes funktioniere uneingeschränkt gut und müsse nicht verändert werden (in Deutschland neun Prozent).
40 Prozent der Befragten sagen, die Art und Weise, wie die EU funktioniert, sei nicht besonders demokratisch. Der Aussage „Die EU ist eine gute Idee, aber sie ist sehr schlecht umgesetzt“ stimmen 51 Prozent der Befragten zu, 33 Prozent lehnen sie ab. Der skeptischste Blick kommt aus Griechenland, wo zwei von drei Befragten (63 Prozent) der Aussage zustimmen.Mehr als die Hälfte (53 Prozent) meint, die EU beschäftige sich zu sehr mit „Kleinigkeiten“ und nicht mit den „wirklich wichtigen Dingen“, in Deutschland sind 57 Prozent dieser Ansicht. Besonderen Handlungsbedarf sehen junge Menschen aus EU-Ländern beim Thema Lebenshaltungskosten: 36 Prozent sagen, der Alltag müsse für alle Bürger und Bürgerinnen bezahlbarer werden. Auf Platz zwei steht mehr Verteidigung gegen Bedrohungen von außen (25 Prozent), es folgen bessere Bedingungen für Wirtschaft und Unternehmen sowie Klimaschutz (beide 23 Prozent).
Weg von der europäischen Innensicht, hin zur Rolle Europas in der Weltpolitik:Nach Ansicht junger Europäerinnen und Europäer ist die USA weltweit der wichtigste politische Akteur. 83 Prozent geben an, die USA sei einer der drei mächtigsten Staaten (danach China mit 75 Prozent, Russland mit 57 Prozent). Die EU erreicht in diesem Ranking nur 42 Prozent, Indien zehn Prozent. Am häufigsten nennen junge Briten und Britinnen die EU als einen der drei wichtigsten Akteure in der Weltpolitik (50 Prozent).
Die Zahlen der Studie der TUI Stiftung zeigen wenig Vertrauen in die EU als geopolitischer Player, doch sehen junge Europäer und Europäerinnen durchaus Potenzial: So denkt die Hälfte (51 Prozent), dass die EU im Konzert der großen weltpolitischen Akteure erst mitspielen kann, wenn sie grundlegende Dinge ändert. Nur jeder und jede Vierte (25 Prozent) ist grundsätzlich skeptisch und denkt, dass die EU nie eine ähnlich große Rolle spielen wird.
Zu den grundlegenden gewünschten Veränderungen für mehr geopolitische Relevanz stehen an erster Stelle bessere Bedingungen für Wirtschaftswachstum (35 Prozent), auf Platz zwei mehr Zusammenhalt zwischen den Mitgliedsländern (34 Prozent). Erst auf Platz sechs wollen junge Europäer und Europäerinnen, dass die EU künftig mehr Geld für Verteidigung ausgeben soll (20 Prozent), auf Platz acht steht der Abbau von Bürokratie (13 Prozent). Rund ein Viertel (28 Prozent) denkt, dass die EU die eigenen Interessen selbstbewusster vertreten sollte.
Ob das eigene Land Mitglied der EU bleiben soll, steht für die meisten jungen Menschen nicht zur Debatte. Zwei Drittel (66 Prozent) bewerten die EU-Mitgliedschaft als gut. Die Zahl derjenigen, die die Mitgliedschaft in der EU positiv sehen, ist besonders in Deutschland groß (80 Prozent). In Großbritannien befürworten 73 Prozent der Befragten eine erneute EU-Mitgliedschaft. Im Vergleich zum Vorjahr ist der Anteil derer, die die EU-Mitgliedschaft positiv bewerten, in allen Ländern deutlich angestiegen, insgesamt um zehn Prozent.
Nach Ansicht der Befragten ist die Zusammenarbeit der Länder ausbaufähig: Vier von zehn jungen Befragten (42 Prozent) wünschen sich eine engere Kooperation zwischen den EU-Ländern. Von Land zu Land sind die Unterschiede groß: Während sich Deutschland und in Italien jeweils 53 Prozent für eine stärkere EU-Integration aussprechen, ist der Zuspruch in Frankreich (27 Prozent) und Polen (31 Prozent) am niedrigsten.
Doch das Zutrauen ist gering: Nur 27 Prozent denken, dass es in den nächsten fünf Jahren tatsächlich zu einer engeren Zusammenarbeit kommt. Nicht zuletzt fühlen sich die jungen Menschen immer weniger vom Parlament in Straßburg vertreten. 2019 sagten 21 Prozent der Befragten, sie fühlten sich stark oder sehr stark vertreten, 2025 waren es 15 Prozent.