Fünf ambitionierte Gründer, viele begeisterte Mentoren, ein Accelerator-Programm: Zusammen mit den Vereinten Nationen und der NGO enpact fördert die TUI Care Foundation in Ägypten Start-ups mit Fokus auf digitalen Technologien und nachhaltigen Geschäftsmodellen. Dahinter stecken oft kleine, sehr persönliche Ideen – mit mitunter riesigem Potenzial.

Was ist dein Traum? Diese Frage stand am Anfang des Accelerator-Programms Travel Tech 4 Good. Ahmed Hamed El Helw zum Beispiel will mit seiner digitalen Plattform Tobadaa Touristen mit lokalen Guides vernetzen und so neue Einkommensmöglichkeiten schaffen. Ahmed Soliman und Raghda Ezzeldin möchten mit Blue Odysea meditative Freediving-Angebote entwickeln. Amir Abdallah arbeitet daran, Reiseanbieter und einheimische Urlauber zusammenzubringen. Reham Abobakr wünscht sich, dass sich Touristen noch mehr für die besondere Geografie Ägyptens begeistern, und vermittelt über ihr Portal lokale Reiseführer, die auf landschaftliche Geheimtipps spezialisiert sind. Die jungen Gründer wollen nicht nur ihre eigene Karriere befördern, sondern ihr Land auf nachhaltige Weise voranbringen. Die Ideen haben sie – was fehlt, ist die Expertise, um sie zum Leben zu erwecken.


„Das Accelerator-Programm der TUI Care Foundation ist groß­artig. Ich habe zum Beispiel gelernt, worin der eigentliche Wert unserer Geschäftsidee liegt und worauf wir uns fokussieren sollten.“

Amir Abdallah, Halla Travel


Tauchgang in der Wüste

Die Gründer wurden im September 2019 zunächst buchstäblich in die Wüste geschickt. In einem einfachen Camp außerhalb von Kairo trafen sie erstmals mit den Mentoren zusammen – ein überraschender Einstieg in den einwöchigen Workshop, der das auf drei Monate angelegte Programm einläutete. Amir Gerges – er entwickelt die Tauch­­tourismus-Plattform Conictus – erlebte den Ausflug in die Sanddünen sogar als eine Art Tauchgang. „Und zwar tief in mein Innerstes.“ Über Geschäftsideen wurde dort nämlich zunächst nicht gesprochen – die Teilnehmer sollten erst einmal zueinander- und auch zu sich selbst finden. Eine Aufgabe, die Gerges in besonderer Erinnerung geblieben ist, war eine Rede, die jeder halten musste: „Was würden wir der Gruppe sagen, wenn wir wüssten, dass am nächsten Tag unser Leben endet? In Gedanken sah ich eine Sanduhr, in der unerbittlich meine Lebenszeit verrinnt. Und mir war klar, dass ich diese Zeit wirklich nutzen will, um das tun zu können, was ich liebe.“

Amir Gerges möchte Touristen und Tauchschulen mithilfe von künstlicher Intelligenz zusammenbringen: „Über meine Plattform Conictus wird man Trips buchen, aber auch Fotos und Daten der Tauchgänge archivieren und teilen können. Das wiederum hilft den Lehrern, das Niveau der Urlauber besser einzuschätzen und die richtigen Angebote zusammenzustellen.“ Auch ein Boot-Sharing sei über die App möglich. Bisher fahren die Schulen getrennt und oft nur halb besetzt mit Touristen aufs Meer hinaus – würden sie die Boote teilen, ließe sich der Ressourcenverbrauch deutlich minimieren. Zuletzt schwebt Gerges ein Citizen-Science-Angebot vor: „Weltweit beobachten tausende Taucher jeden Tag die marinen Ökosysteme und machen dabei Fotos. Warum sollten Wissenschaftler diese Daten nicht für ihre Forschungen nutzen?“ Gerges möchte auch dem Personal in den Nationalparks sowie Umweltorganisationen in Entwicklungsländern Daten und Wissen für ihre tägliche Arbeit zur Verfügung stellen: „Wir arbeiten dafür an KI-Lösungen, die vor Ort eingesetzt werden können.“

Gerges steht wie die anderen Gründer für die Zukunft der Tourismusindustrie in Ägypten. Nach Jahren des Abschwungs steigen die Urlauberzahlen in dem Land wieder, junge Menschen sehen in dem Wirtschaftszweig eine Chance. Die lokale Start-up-Szene in Kairo ist sehr lebendig. „Der arabische Frühling hat uns gezeigt, wie machtvoll soziale Medien und digitale Tools sein können. Das versuchen nun viele auch für ein Business zu nutzen“, sagt Gerges.


„Mein Traum ist es, aus meiner Leidenschaft, dem Tauchen, ein erfolgreiches Unternehmen zu entwickeln, von dem auch andere Menschen und die Umwelt profitieren.“

Amir Gerges, Conictus


Eine enge Gemeinschaft

Nach den zwei Tagen im Camp ging es für Gründer und Mentoren ins Startup Haus Cairo. Es befindet sich an einer der unzähligen, irrwitzig dicht befahrenen Straßen im Stadtzentrum. Aber nicht nur der Ort stand im deutlichen Kontrast zum Prolog in der Wüste: Aus einer Gruppe einander unbekannter Menschen war eine enge Gemeinschaft geworden, die jetzt intensiv an der Entwicklung von nachhaltigen Geschäftsmodellen arbeitet.

Im Seminarraum wird angeregt diskutiert, eine Wand ist mit farbigen Klebezetteln gepflastert. Eine Etage höher sieht man ein Dutzend Gründer in einem Co-Working-Space. Betrieben wird das Startup Haus Cairo von der Berliner NGO enpact, die in Entwicklungsländern Projekte umsetzt, um lokale Kleinunternehmer zu fördern.   

Gemeinsam mit der TUI Care Foundation haben die Experten von enpact das Accelerator-Programm für Tourismus-Start-ups entwickelt. „Das Programm passt sehr gut zu unserer Strategie“, sagt Jost Neumann, bei der Stiftung für das Projekt verantwortlich. „Wir wollen jungen Menschen die Möglichkeit eröffnen, am Wachstum des Tourismus in ihrem Land aktiv teilzuhaben.“ Die Unterstützung aus der TUI-Familie sei dabei überwältigend gewesen: „Als wir im Intranet Mentoren anfragten, erhielten wir in kürzester Zeit mehr als 50 Bewerbungen aus verschiedenen Ländern und Bereichen, darunter zahlreiche Führungskräfte.“

Voneinander lernen

Die Mentoren begleiten die Gründer beim Workshop vor Ort, später auch in regelmäßigen Videokonferenzen. Unter ihnen sind die Kommunikationsexpertin Nora Aspengren aus Norwegen und Lonneke de Kort, Marketingspezialistin aus Holland. Christoffer Wick­­­­berg verantwortet in Schweden die Strategieentwicklung. Der Business-Architekt weiß, wie Unternehmen Geschäftsmodelle aufsetzen und strategisch ausrollen. Er hilft den jungen Gründern dabei, eine Roadmap für die nächsten strategischen Schritte zu entwerfen, betont aber auch, dass der Wissenstransfer in beide Richtungen funktioniere: „Ich lerne von den Gründern auch unheimlich viel.“

Amir Gerges’ Erkenntnis aus den ersten Gesprächen mit Wickberg ist, dass er sein Geschäftsmodell noch fokussieren muss. „Ich habe so viele Ideen im Kopf, ich kann Conictus gar nicht in einem Satz erklären.“


„Mein Traum ist es, alle Wüsten Ägyptens zu nachhaltigen Tourismusdestinationen zu machen.“

Reham Abobakr, Geo Travel


Wichtiger Motor für Veränderung

Tourismus ist einer der wichtigsten Treiber für Entwicklung, gerade in sich entwi­ck­eln­den Staaten wie Ägypten. Das berichtet Addaia Arizmendi, die für die Welttourismusorganisation der Vereinten Nationen (UNWTO) den Accelerator begleitet. Laut UNWTO wurden 2018 im internationalen Tourismus täglich mehr als fünf Milliarden US-Dollar umgesetzt. „Nach Chemie und Öl ist es der drittgrößte Exportsektor, jeder zehnte Job weltweit entfällt auf ihn, in vielen Communities ist er sogar die Haupt­­­­­ein­­nah­­mequelle“, erklärt die Spanierin. Ihr gefällt an der Initiative der TUI Care Foundation ins­­­­besondere der lokale Ansatz: „Mentoren aus aller Welt unterstützen die einheimischen Gründer dabei, ein nachhaltiges Business aufzubauen. Hier wird sprichwörtlich in die Zukunft investiert, auch mit Geld, aber vor allem mit Know-how.“

Zukunftsweisende Geschäftsmodelle, die über rein kommerzielle Aspekte hinausreichen und zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen – diese Ziele teilen alle ausgewählten Start-ups. Dies beinhaltet den Blick auf Umwelt und Gesellschaft, aber auch die persönliche Ebene, wie die Geschichte von Ahmed Hamed El Helw zeigt: Der Software-Ingenieur arbeitete früher bei großen Unternehmen – wirklich zufrieden machte ihn das nie. Auch als Tour-Guide war er schon tätig. „Ich kenne die Branche, die Abhängigkeiten von den Agenturen, die oft schlechte Bezahlung – ich wollte helfen. Menschen sollen von der Arbeit, die sie lieben, auch leben können.“

Die passende App, Tobadaa, hatte der Software-Spezialist schnell programmiert. Guides können den Urlaubern ihre Services nun direkt anbieten. Sie holen die Touristen mit ihrem Auto ab. „Dadurch entsteht auch ein sehr direkter, authentischer Kontakt zur lokalen Bevölkerung“, sagt El Helw.

Dass am Ende des Accelerator-Programms nur einer der Gründer eine kleine Finanzierung und Zugang zu einem großen Netzwerk von Investoren und potenziellen Klienten erhält, also ein Sieger ermittelt werden muss, hat das gute Miteinander nach Meinung aller Teilnehmer übrigens nicht beeinflusst. „Ich spüre hier gar keinen Wettbewerb“, sagt Ahmed Hamed El Helw. „Es ist eher so, als hätte ich eine neue Familie bekommen.“

»Die Menschen in den Urlaubsländern sollen nachhaltig vom Tourismus profitieren. Die TUI Care Foundation arbeitet in 25 Ländern mit lokalen Partnern und unterstützt 30 Projekte. Im Mittelpunkt stehen Bildung und Ausbildung in den TUI Academies sowie Projekte zum Natur- und Artenschutz.«

Thomas Ellerbeck, Mitglied des Group Executive Committee, Chairman der TUI Care Foundation